Die Ersatzteilbeschaffung für uralte und seltene Fahrzeugmodelle ist generell eine der größten Hürden im Oldtimerhobby. Selbst in heutigen Zeiten, wo man vom Schreibtisch aus wortwörtlich auf der ganzen Welt danach suchen, per Email verhandeln und per Mausklick kaufen kann. Damals wie heute gilt: es gibt kaum 300er-Ersatzteile, und wenn doch mal etwas auftaucht, dann wird es -ob gerechtfertigt oder nicht- in Gold aufgewogen. Dabei hat man es als Mercedes-Fan noch ganz gut, denn reine Technik-Teile kann man noch einige bei Mercedes bekommen - dann allerdings reicht das 1:1-Goldaufwiegen meist nicht mehr, um es auch mitnehmen zu dürfen...
Aber man kann -und muss- auch hier gelegentlich Glück haben.
Wir sind also in 1993. Etwa 1 Jahr zuvor hatte ich mit Kumpel Marcus einen ur-alteingesessenen Opelhändler in Uelzen ausgehoben. Marcus hatte diesen auf einer seiner Dienstreisen gesehen, sobutz angehalten und nach Ersatzteilen für seinen Opel Kapitän PL gefragt. Und es offenbarte sich eine wahre Schatztruhe mit Regalen voller Neuteile und Werkstatt-Literatur für die unterschiedlichsten Opelmodelle seit den 40er Jahren.... und dies sollte alles weg. Denn zu jener Zeit wurden Opelwerkstätten vom Werk dazu angehalten, ihre Altbestände zu entsorgen um Platz für neumodisches Zeug zu schaffen. Es wurde sogar eine Art Prämie für die Entsorgung gezahlt, wenn letztere nachgewiesen wurde - mit der Auflage, dass die Teile nicht nur weggeworfen, sondern definitiv unbrauchbar gemacht waren. Da wurden (und werden?) also in vielen, vielen Opelwerkstätten kistenweise Neuteile in ihren Originalverpackungen zerschlagen oder verbogen, bevor sie in den Schrottmulden landeten. Unfassbar!
"Unser" Opelhändler war jedoch anders drauf. Wir durften an einem Samstagmorgen bei ihm vorfahren und uns im Teilelager nach Herzenslust bedienen. Leider hatten wir nur einen Bulli zur Hand. Hätten wir gewusst, was uns dort erwartete, wären wir mindestens mit einem 7,5-Tonner LKW aufgekreuzt. Schweren Herzens ließen wir stapelweise Blechteile und sonstige sperrige Dinge (Achsen, Scheiben) stehen, und stopften den Bulli bis unters Dach mit allem voll was gut und teuer aussah. Alles bis Mitte der 1970er stand zur Auswahl, egal für welches Modell. Vom Olympia bis zum Diplomat B V8.
Kein Problem, denn was danach kam interessierte uns eh nicht.
Über Preise wurde dabei überhaupt nicht gesprochen, und je länger das Plündern dauerte, desto mehr beschlich uns das bange Gefühl, dass der Satz des Lageristen "wir werden uns schon einig" eventuell missverständlich gedeutet werden könnte, und wir am Ende alles wieder auspacken müssen... so luden wir z.B. vorsichtshalber nicht alle vorhandenen, nagelneuen D-Rekord-Tachos ein, sondern nur circa 20 davon.
Als nach 2 Stunden nichts mehr in den Bulli passte, zog sich der gute Mann mit Notizblock und Taschenrechner kurz zurück und wir blickten ihm mit mulmigem Bauchgefühl nach.
Die Rückfahrt wurde allerdings umso ausgelassener. Wir konnten unser Glück kaum fassen und jubelten in einer Tour, zählten uns die ergatterten Schätze alle nochmal auf, fantasierten über unglaubliche zu erzielende Gewinne, und was man sich davon kaufen könne. Ja, der Mann hatte uns, wie auch immer er auf diese Summe kam, genau 600 Deutsche Mark auf den Quittungsblock geschrieben. Plus Märchensteuer, ok...
So spärlich die Artikelbeschreibung hier ausfiel, so umfangreich wurde unsere Bestandsaufnahme zuhause. Dank stapelweise mitgekaufter Originalkataloge aus den 30er bis 70er Jahren konnten wir die Teile anhand ihrer Nummern den unterschiedlichen Opelmodellen zuordnen, und hatten am Ende einige engbeschriebene DIN A4-Seiten voll. Wobei die einzelnen Positionen durchaus so lauteten: "Blinkerglas Rekord P2, 16x li" , "Seitenwand Rekord A/B CarAVan, 2x re, 1x li" oder "Vergaser-Überholsatz Admiral B 2,8 Liter, 3x", etc..
Es war eine Riesenarbeit - aber auch eine unfassbare Wonne!
Leider eine einmalige Gelegenheit. Die Chance, den "Rest" in einer zweiten und dritten Tour zu holen, bot sich leider nicht. Vermutlich ging der zurückgelassene, 3x so große Bestand später einfach in die Schrottpresse...
Warum erzähle ich das alles, was hat das mit meiner Heckflosse zu tun?
Also: Marcus und ich meldeten uns natürlich sofort bei den nächsten großen Oldtimer-Teilemärkten an. Schon beim ersten Markt, Anfang 1993 in Hamm, kaufte uns ein Sammler kurz nach Eröffnung die meisten alten Kataloge und Handbücher für 800 Mark ab. Und somit waren wir praktisch ab sofort im Plus. Entsprechend entspannt konnten wir die Preisgestaltung für unsere Ersatzteile angehen - sicherlich nicht unbedingt zur Freude der professionellen Opelteile-Händler vor Ort... Wir aber hatten jedenfalls auch hierbei trotz aller damit verbundenen Anstrengungen einen Hei-den-spaß! Auf der Herbst-Technorama in Kassel waren dann die meisten Rosinen aus unserem Angebot herausgepickt, oder die Teile so selten, dass sie keiner braucht: wer hat schon einen 1957er Rekord P1 Lieferwagen, und sucht dafür ein neues, weißes Lenkrad... wir hätten eines da, aber... naja.
Ich hatte ja im gerade verbrachten Sommer den schwatten 300SE an Land gezogen, und darum ein Schild "Suche Ersatzteile für 300SE W112" an unseren Opelteilestand gehängt. Versuchen kann man´s ja.
Es kam nur Einer, der mich darauf ansprach, aber der hatte es in sich. Er sei ebenfalls Händler für Alt-Opelteile, und hätte da zufällig einen langen 300er zu verkaufen. Ob wir interessiert an einem Tausch seien: unsere Teile gegen den W112, mit entsprechendem Wertausgleich. Steht draußen auf dem Freigelände, könnten wir uns ja mal anschauen.
Ich hatte diesen Wagen natürlich schon gesehen, aber nicht weiter beachtet, denn: 1. hatte ich ja nun schon einen langen 300er in der Scheune stehen, und 2. hatte der Mann diesen Wagen schon auf der Frühjahrs-Technorama angeboten, und zwar für 18.500 Mark. Das war mir seinerzeit nicht nur für mein Budget zu teuer, sondern auch speziell für diesen Wagen an sich viel zuviel Geld. Ein aus Chicago reimportierter 1965er, vermutlich noch "drüben" mit einer Lackdusche und einigen neuen Zierleisten amerikatypisch auf hübsch getrimmt, und mit neuen (aber viel zu kleinen) Weißwandreifen versehen. Optisch also auf den ersten Blick gar nicht so übel, doch erkannte man bei genauerem Hinsehen derben Rost an allen kritischen Punkten. Eine vollkommen ins Weiße verblichene und morsche Lederausstattung, kaputtes Holz, etc. etc. komplettierten das Bild vom völlig überteuerten Blender. Interessanterweise leugnete der Verkäufer nun uns gegenüber, dass es sich hierbei um den im Frühjahr angebotenen Wagen handele, aber dazu später mehr...
Daher war ich erstmal skeptisch ob dieser Deal wirklich zustandekommen würde, denn zu teuer bleibt zu teuer, egal wie man es miteinander verrechnet. Doch der Verkäufer hatte dies wohl inzwischen auch bemerkt, und war nun zu deutlichem Nachlass bereit. Und ich musste zugeben, dass dieser Blaue trotz viel Rost und ebenfalls nur bedingter Fahrbereitschaft eigentlich besser aussah als mein Schwatter.
Unser Opelteile-Geschäft wurde in letzter Zeit zäh, ein en-bloc-Verkauf war also verlockend. Und so einigten wir uns: der Verkäufer bekam unseren kompletten Teilebestand den wir mit 4.500 Mark Ankauf-Wert veranschlagten, sowie meinerseits eine Draufzahlung von 2.500 Mark. Marcus bekam von mir seinen hälftigen Anteil am Teilewert ausbezahlt, und so hatte ich für 7.000 Mark plötzlich einen zweiten, kompletten Mercedes-Benz 300SE lang!
Erst sucht man jahrelang vergeblich, und dann ist man innerhalb weniger Monate überversorgt! Tststs...
Leisten konnte ich mir diese Eskapaden allerdings nur, weil dank des Opelteile-Hökerns die Finanzen stimmten. Wie richtig und wichtig die Anschaffung dieses Teilespenders tatsächlich war, wurde mir später immer wieder vor Augen geführt, wie man im Restaurierungs-Kapitel nachlesen kann. Zunächst aber musste ich diesen Zweitbenz aus dem Ruhrgebiet abholen und neben den schwatten Erstling in die staubige Scheune verfrachten - ist doch gut, wenn man auf dem Land lebt und Leute mit Platz kennt...
Leider war an ein paar freudige Tage des Rote-Nummer-Cruisens mit dem Blauen nicht zu denken. Die Bremsen waren im Eimer, und die Servolenkung pumpte ihr Öl aus dem Vorratsbehälter heraus auf die Straße. Außer einer höchst vorsichtigen Überführungsfahrt innerorts vom Elternhaus zum Reiterhof, mit ein paar alten LE-Nummern als Tarnung/Deko angeschraubt, war nix drin.
Ach ja, im Kofferraum des Blauen fand ich unter Gerümpel ein irgendwie vertrautes Verkaufsschild.
DM 18.500,- stand da drauf...